999: Eine bessere Story bekommt ihr nicht

11 min

21.3.2017

zero

Am 24.03.2017 er­schien das Spiel mit der wohl bes­ten Ge­schich­te al­ler Zei­ten auch end­lich für PC und Play­Sta­ti­on! (Und nein, ich wer­de hier­für nicht be­zahlt.) Im Fol­gen­den darf man ei­nen ge­nia­len Steam-Tipp mit ei­ner Pri­se Re­view er­war­ten. Dar­über hin­aus wer­de ich ko­lum­nen­mä­ßig auf den Sinn und die Re­le­vanz von Ent­schei­dun­gen und das (oft feh­len­de) Zu­sam­men­spiel von Game­play und Hand­lun­gen im Ge­ne­rel­len ein­ge­hen und euch da­bei na­tür­lich un­ter die Na­se rei­ben, was Ze­ro Es­cape: 999 so be­ein­dru­ckend macht.

Inhaltsverzeichnis

# Über welchen Titel reden wir denn?

In der fer­nen Ver­gan­gen­heit, als der DS noch Nin­ten­dos ak­tu­ells­te Hand­held-Fa­mi­lie war, da er­schien ein klei­nes Meis­ter­werk für die­se Kon­so­le und nun end­lich, nach all der Ewig­keit schenk­ten uns die Ent­wick­ler auch ei­ne PC-Ver­si­on – Hur­ra! Die Re­de ist na­tür­lich von Ni­ne Hours, Ni­ne Per­sons, Ni­ne Doors (oder kür­zer: 999). Wo­bei es jetzt als Dop­pel­pack zu­sam­men mit dem Nach­fol­ger un­ter dem Na­men Ze­ro Es­cape: The No­na­ry Ga­mes für PS4, PSV und eben auf Steam ver­kauft wird. Da ich aber selbst den zwei­ten Teil nicht ken­ne (noch nicht!) und es ge­ra­de eh lang­sam dun­kel wird, be­gnü­gen wir uns mit 999.

Die Sto­ry be­ginnt mit dem er­wa­chen des Prot­ago­nis­ten, Jun­pei (er­wähn­te ich schon, das Spiel kommt aus Ja­pan?), wel­cher sich in ei­ner klei­nen Ka­bi­ne ei­nes alt­mo­di­schen Schif­fes wie­der­fin­det. Das Letz­te an das er sich er­in­nern kann ist ei­ne mas­kier­te Per­son, die ihn in sei­ner ei­ge­nen Woh­nung be­täubt und da­nach wohl hier­her ge­schleppt ha­ben muss. Da dies na­tür­lich nicht schlimm ge­nug ist, ent­schei­det sich der Kreu­zer auch noch zu sin­ken. Ins­ge­samt blei­ben nur neun Stun­den bis zum Un­ter­gang (Ni­ne Hours: Check). Dar­um soll­te Jun­pei drin­gend schau­en, wie er die­sen Raum ver­las­sen kann. Die mit ei­ner ro­ten »5« be­schrif­tet Tür ist näm­lich ver­schlos­sen (Ni­ne Doorsdoor5 – lang­sam ver­steh ich den Ti­tel). Der Kar­ten­schlitz an ei­ner klei­nen Box ne­ben dem Aus­gang scheint nach der ein­zi­gen Mög­lich­keit zur Flucht. Zu­dem be­merkt der Jun­ge ei­ne Art Arm­band­uhr auf der eben­falls die Zahl »5« auf­leuch­tet, die­se lässt sich al­ler­dings nicht von sei­nem Hand­ge­lenk lö­sen.

Und hier of­fen­bart sich auch schon der Haupt-Game­play-Aspekt: die Es­cape-The-Room-Puz­zle. Ak­tu­ell so­gar wie­der im Trend durch die gan­zen Live-Es­cape-Rooms, muss man in in­ter­es­san­ter Point-and-Click-Ma­nier das Zim­mer durch­stö­bern und Rät­sel lö­sen, um das Schloss zu ak­ti­vie­ren und es da­nach mit dem Arm­schmuck ent­rie­geln zu kön­nen. Da­bei schei­nen Di­gi­tal Roots (ein­fa­che Quer­sum­men) ei­ne ge­wis­se Rol­le zu spie­len. Für ei­ne Zahl wie bei­spiels­wei­se 2403 ad­diert man al­so 2 + 4 + 0 + 3 zu­sam­men, die Di­gi­tal Root wä­re da­mit Neun. Be­steht das Er­geb­nis aus mehr als ei­ner Zif­fer, so wird er­neut die Quer­sum­me ge­bil­det. Kei­ne Pa­nik, das wird kei­ne Ma­the­ma­tik­stun­de, ich hör ja schon auf da­mit. Für al­le Grund­schul­ab­bre­cher und Zah­len­all­er­gi­ker gibt es im­mer­hin ei­nen ein­ge­bau­ten Rech­ner.

Nach dem Über­win­den des ers­ten Hin­der­nis­ses stößt un­ser Held schon bald auf wei­te­re Per­so­nen (drei Mal dürft ihr ra­ten auf wie vie­le). Ei­ne da­von ist sei­ne al­te Schul­freun­din Aka­ne und ob­wohl sie Arm­reif Num­mer Sex 6 trägt, wird das kei­ne Knat­ter­par­ty à la The Wit­cher. Der Rest der Grup­pe bleibt sich skep­tisch ge­gen­über und kur­zer­hand wer­den Code­na­men ver­ge­ben. Wel­che Ge­heim­nis­se je­der ver­birgt und was hin­ter die­ser schein­bar zu­fäl­li­gen Zu­sam­men­stel­lung steckt, muss Jun­pei erst noch im Lau­fe des Aben­teu­ers er­grün­den. Aber schon bald wird je­der die Ernst­haf­tig­keit des »Spiels« er­fah­ren – DUN DUN DU­UUN!

# Ist das etwa eine dieser ollen Visual Novels?

So ein­fach wür­de ich das hin­ge­gen nicht in ei­ne Schub­la­de mit Bü­chern ste­cken. Zwi­schen den schon er­wähn­ten Kno­bel-Pas­sa­gen fin­det sich selbst­ver­ständ­lich et­was Text (die­ser wur­de im­mer­hin in der Neu­auf­la­ge für al­le Le­se-Wi­der­ständ­ler nach­syn­chro­ni­siert), ne­ben der atem­be­rau­ben­den, wen­dungs­rei­chen und kon­kur­renz­lo­sen Ge­schich­te (ich wer­de im­mer noch nicht be­zahlt) be­ein­druckt ih­re Ver­knüp­fung zum Game­play. Auch wenn das Game­play nicht be­son­ders viel des rund 20-stün­di­gen Aben­teu­ers aus­macht.

Be­trach­ten wir zu­nächst den ur­sprüng­li­chen Kri­tik­punkt; was ist so schlimm an ei­ner star­ken Er­zäh­lung oh­ne ac­tion­ge­la­de­ne Spiel­me­cha­nik? Shoo­ter wie Doom ma­chen ex­akt das­sel­be, nur mit in­ver­tier­ter Ge­wich­tung bei­der Aspek­te. Von die­ser Spe­zia­li­sie­rung pro­fi­tie­ren sol­che Ti­tel so­gar, in­dem eben nicht ei­ne pseu­do­in­ter­es­san­te Hand­lung mit­ge­schleppt wer­den muss. An­dern­falls wür­de man sich nur wün­schen die Zwi­schen­se­quen­zen wie stö­ren­de Wer­bung schnellst­mög­lich weg­zu­kli­cken. Ich er­in­ne­re mich hier im­mer wie­der ger­ne an das Achie­vement »Meis­ter im Über­sprin­gen« aus dem Spiel Mar­low Briggs für das Weg­kli­cken al­ler Vi­deo­se­quen­zen.

rapture
Eine Kritik an Bioshock war, dass sich die Story negativ gegen »Splicing« äußert, man sich allerdings auf der anderen Seite für den Spielspaß fröhlich mit Drogen vollpumpen soll.

Es kann na­tür­lich eben­so qual­voll an­ders­her­um statt­fin­den. Zwingt man den Spie­ler zu un­pas­sen­den In­ter­ak­tio­nen, so gru­selt er sich in ei­nem Spiel wie Fah­ren­heit we­ni­ger vorm Ka­pu­zen­mör­der als vor der nächs­ten, schier end­lo­sen Quick-Time-Ein­la­ge (wo­bei mich hier auch die Sto­ry über­haupt nicht an­spre­chen woll­te). Bio­shock In­fi­nite bot un­an­ge­brach­te und meist ner­vi­ge Schieß­bu­den-Pas­sa­gen – spä­ter so­gar ge­gen wie­der­auf­er­ste­hen­de Geis­ter – *würg*. Und all das oh­ne ei­ne Sinn­haf­tig­keit für den Rest der Hand­lung, man hät­te es ge­nau­so gut auch weg­las­sen kön­nen, denn es dien­te le­dig­lich dem Selbst­zweck und er­gab sich ver­mut­lich nur da­her, dass da­ma­li­ge Pu­blisher kei­nen Ver­kaufs­er­folg oh­ne Shoo­ter-Game­play sa­hen (ak­tu­el­les Äqui­va­lent wä­re das Zau­ber­wort »Open-World«). Ver­steht mich nicht falsch, das Spiel war auch für mich ein gran­dio­ses Er­leb­nis, dies lag je­doch ein­zig an der ab­ge­fah­re­nen Sto­ry und den ge­heim­nis­vol­len Cha­rak­te­ren. Da­für hat es dann auch von vie­len Sei­ten nur Höchst­wer­tun­gen ein­kas­siert. Dies zeigt au­ßer­dem, dass sich sel­ten um an­spruchs­vol­le Ge­schich­ten ge­küm­mert wird und das zu­sätz­li­che Meis­tern des Game­plays schon fast ei­nem Wun­der gleich­kä­me.

So spie­le ich lie­ber ei­nes die­ser ver­pön­ten Wal­king-Si­mu­la­to­ren und las­se mich da­nach auf ein paar Ver­su­che ein, die 1000-Se­kun­den­mar­ke in De­vil Dag­gers zu kna­cken, wel­che sich je­weils nur ei­nem die­ser bei­den Punk­te ei­nes Spiels zu­wen­den. Doch selbst­ver­ständ­lich, um noch­mals auf Bio­shock zu­kom­men, durf­ten die Ent­wick­ler in den »Bu­ri­al at Sea«-DLCs ihr wah­res Kön­nen be­wei­sen. Epi­so­de Eins hat mit dem mehr an das Ur-Bio­shock an­ge­lehn­te Spiel­erleb­nis – in­ter­es­san­te Plas­mi­de, al­le Waf­fen im In­ven­tar, Mu­ni­ti­ons­knapp­heit und ge­ne­rell et­was klei­ne­re Geg­ner­grup­pen – auf dem Hard­core-Schwie­rig­keits­grad auch das Game­play-Kri­te­ri­um be­frie­digt. Mit dem Schlei­chen (im 1998-Mo­dus) aus Epi­so­de 2 und den end­lich wie­der sta­pel­ba­ren Me­di-Kits fand das Spiel ei­nen ge­lun­ge­nen Ab­schluss, trotz­dem könn­ten Er­zäh­lung und Spiel­me­cha­nik oh­ne Pro­ble­me in zwei ei­gen­stän­di­gen Ti­teln statt­fin­den. Na­tür­lich sind die Fein­de dem Set­ting ent­spre­chend an­ge­passt und die über­na­tür­li­chen Fä­hig­kei­ten wer­den von der Ge­schich­te schlüs­sig er­klärt, den­noch lie­fert das Vor­han­den­sein des ei­nen Aspek­tes über­haupt kei­nen Vor­teil für den an­de­ren.

burialatsea
Jetzt greift sogar schon Elizabeth zu Waffen? Das ausschließliche Verwenden des Bogens im speziellen 1998-Modus ist zumindest etwas glaubhafter bezüglich ihres Charakters.

# Was will man denn mehr?

Be­vor Zug­stop­per Ju­li­us Busch Ant­wor­ten auf in­tel­lek­tu­el­le Fra­gen er­goo­gelt ha(l)t – Ach­tung, dies ist nicht bö­se ge­meint und ich ha­be auch nichts ge­gen sei­nen Hu­mor! – wid­me­te er ein Vi­deo eben die­sem sehr ver­brei­te­ten Öl-und-Was­ser-Prin­zip. Mei­ne per­sön­li­che Lieb­lings­si­tua­ti­on in der zur Ab­wechs­lung mal bei­des fa­bel­haft ver­mischt wird, fin­det sich im fa­mo­sen Puz­zle Agent. Auf den ers­ten Blick ver­folgt man ein be­scheu­ert-wit­zi­ges Aben­teu­er, wel­ches durch un­ab­hän­gi­ge Mi­ni­ga­mes auf­ge­lo­ckert wird. Bis wäh­rend ei­nes Rät­sel aus hei­te­rem Him­mel ein seit­her in der Hand­lung nur als My­thos ab­ge­stem­pel­ter Gnom un­ter fla­ckern­dem Licht das ak­tu­el­le Puz­zle be­tritt und ein Teil da­von stiehlt. Der Dieb wird na­tür­lich so­fort ver­folgt und die ak­ti­ve Auf­ga­be hin­ten an­ge­stellt. Hät­te dies nur in ei­ner rei­nen Cuts­ce­ne statt­ge­fun­den, so wä­re es längst nicht so in­ten­siv und ein­präg­sam ge­we­sen. Und es wür­de nicht so un­er­war­tet gru­seln, da man sich plötz­lich auf dem sonst so ab­ge­kop­pel­ten Rät­sel­bild­schirm nicht mehr si­cher füh­len kann.

gnome

Ge­nau die­ses Mi­xen schafft auch 999 an ver­schie­de­nen Stel­len. Man löst nicht ein­fach nur al­le ver­steck­ten Me­cha­nis­men ei­nes Ab­schnit­tes, son­dern nutzt Ge­le­gen­hei­ten der Zwei­sam­keit im ab­ge­schot­te­ten Raum voll­kom­men aus. Wo­bei na­tür­lich ge­ra­de beim Hö­he­punkt je­mand aus ei­nem Ne­ben­raum ein­dringt, uns un­ter­bricht und wir die Un­ter­hal­tung, in der uns un­ser Ge­sprächs­part­ner ein wich­ti­ges Ge­heim­nis aus des­sen Ver­gan­gen­heit ver­ra­ten will, auf ein an­de­res Mal ver­schie­ben müs­sen – so­fern sich über­haupt noch­mals die­se Mög­lich­keit bie­tet. Denn ob­wohl sich die Spie­ler meist in zwei ge­trenn­te Grup­pen auf­tei­len müs­sen, um die nächs­ten Tü­ren öff­nen zu kön­nen, so blei­ben sol­che Chan­cen sel­ten. Das Game­play wird al­so nicht ein­fach ver­wen­det, um in ei­nem Zim­mer für ei­ne Wei­le fest­zu­ste­cken, son­dern auch um hand­lungs­re­le­van­te Si­tua­tio­nen her­vor­zu­ru­fen. Aus ei­nem ähn­li­chen Grund wer­den, wie schon er­wähnt, auch nicht die Wän­de zum Wa­ckeln ge­bracht, wie es Nu­del­schwin­ger Blaz­ko­wicz und so vie­le an­de­re Spie­le­hel­den ver­an­stal­ten wür­de, da hier­für kei­ne Not­wen­dig­keit in der Sto­ry vor­han­den ist. Man darf sich aber auf die Fahr­stuhl-Sze­ne freu­en, die herr­lich die Be­zie­hung zwi­schen Jun­pei und Aka­ne dar­stellt und das oh­ne blan­ke Haut, Flüs­sig­keits­aus­tausch oder gar Ge­küs­se.

Des Wei­te­ren be­schränkt sich das Tüf­teln nicht nur auf das Aus­bre­chen. Mit je­dem wei­te­ren Raum den wir durch­fors­ten sam­meln wir im über­tra­ge­nen Sin­ne auch Puz­zle­tei­le der Hand­lung und ver­su­chen mehr über die­sen Ort und un­se­re Rol­le in die­sem Stück zu er­fah­ren. Nicht nur die Rät­sel an sich sind un­zer­trenn­lich mit der Nar­ra­ti­on ver­wo­ben, son­dern auch die ge­ne­rel­le Mo­ti­va­ti­on al­les zu durch­fors­ten. Wä­re je­de Tü­re of­fen und gä­be es da­mit kei­ne Not­wen­dig­keit für das Game­play, wür­de der Ge­schich­te auch ein wich­ti­ger Teil ver­lo­ren ge­hen. Das Game­play wird ins­ge­samt al­so zu deut­lich mehr als ei­nem rei­nen Kno­bel­spaß.

# Was ist mit den versprochenen Entscheidungen?

Ent­schei­dun­gen sind je nach Gen­re un­ter­schied­lich rea­li­siert, im ak­tu­el­len Zel­da wird dem Spie­ler die Frei­heit ge­las­sen al­le Ge­bie­te in be­lie­bi­ger Rei­hen­fol­ge zu durch­fors­ten. Durch das Ein­schie­ben un­zäh­li­ger Ne­ben­quests kann sich die­se Ent­schei­dungs­frei­heit je­doch ne­ga­tiv auf das Pa­cing der Sto­ry aus­wir­ken, da ei­nem dies völ­lig ver­ges­sen lässt, dass man ei­ne Prin­zes­sin zu ret­ten hat (ob­wohl die toll­pat­schi­ge Al­te so lang­sam kei­ner Ret­tung mehr wür­dig ist;). Da hier die Spiel­me­cha­nik je­doch oh­ne­hin im Vor­der­grund steht, ist dies kein schlim­mes Ver­ge­hen und wird wis­sent­lich in Kauf ge­nom­men.

Ei­ne an­de­re Va­ri­an­te fin­det sich in den neue­ren Tell­Ta­le-Aben­teu­ern. Hier­bei lässt sich die Ge­schich­te in ge­wis­ser Wei­se per­so­na­li­sie­ren, da man selbst ei­ne von meh­re­ren Dia­log­op­tio­nen wäh­len kann oder in be­stimm­ten Si­tua­tio­nen un­ter­schied­lich han­deln kann. Be­son­ders der Ver­such von Life is Stran­ge die­ses Prin­zip zu ko­pie­ren, zeig­te auf ei­ne ex­tre­me Art wie un­nö­tig die­se Spiel­me­cha­nik doch sein kann. Wie schon bei Bio­shock In­fi­nite konn­te die Hand­lung al­lei­ne be­geis­tern, je­de Ent­schei­dung (mit Aus­nah­me des En­des von Ka­pi­tel 2 und der da­zu­ge­hö­ren­den Vor­ar­beit) war der­weil to­tal hin­fäl­lig und das un­ab­hän­gig von der (un­ter­halt­sa­men) Zeit-Rück­spul-Fä­hig­keit. (Wer mich für die­se Aus­sa­ge in den Kom­men­ta­ren be­lei­di­gen will, soll­te aber bit­te auch ei­ne Sze­ne nen­nen, die sich nicht eben­so gut durch ei­ne nicht-in­ter­ak­ti­ve Se­quenz vor­ge­ben las­sen könn­te;) im­mer­hin dürf­te da­durch die ge­plan­te Ver­fil­mung leich­ter zu rea­li­sie­ren sein.

zugfahrer

Wenn man so bei­spiels­wei­se die Wei­che um­legt und da­mit ei­nen Zug um­lei­tet, än­dert sich le­dig­lich ei­ne Dia­log­zei­le ei­nes ein­zi­gen Cha­rak­ters, an­sons­ten fin­det der Tru­cker ein­fach ei­ne an­de­re Aus­re­de, war­um er denn noch im­mer ras­tet. Je­der in­ter­es­san­te Ent­schluss et­was be­stimm­tes zu un­ter­neh­men, wur­de ein­zig und al­lei­ne von Max ge­trof­fen, nicht aber uns als Spie­ler. Wir dür­fen bloß ein Schild ver­än­dern oder ein Fens­ter zer­stö­ren. Bis auf den fei­nen, op­ti­schen Un­ter­schied ha­ben sol­che Din­ge aber kei­ner­lei wei­te­re Aus­wir­kun­gen. Der Zwang dem Spie­ler we­nigs­tens das letz­te Wort zu über­las­sen, geht am Schluss so weit, dass man für das Fi­na­le noch ei­ne völ­lig be­lang­lo­se Al­ter­na­tiv­op­ti­on ein­bau­te, wel­che je­doch kei­nes­wegs in den Kon­text der Er­zäh­lung pas­sen will. Die­se Stel­len ma­chen das Spiel nicht un­be­dingt arg schlech­ter, sie be­las­ten es al­ler­dings mit über­flüs­si­gem In­halt (an­stel­le des­sen man viel­leicht bes­se­re Ge­sichts­ani­ma­tio­nen hät­te rea­li­sie­ren kön­nen).

Ach­tung, nur weil ei­ne Ent­schei­dung kei­ne be­son­de­ren Aus­wir­kun­gen nach sich zieht, muss dies nicht au­to­ma­tisch hei­ßen, sie sei un­nö­tig. Über­lässt uns so et­wa Grup­pen­lei­te­rin Lil­ly aus The Wal­king Dead das Ur­teil dar­über, wer et­was von dem li­mi­tier­ten Nah­rungs­vor­rat er­hält, so ver­deut­licht es uns in wel­cher har­ten Welt wir uns be­fin­den und wel­che Schuld­ge­füh­le mit die­ser Ver­tei­lung ein­her­ge­hen, die sonst im­mer un­se­re An­füh­re­rin er­tra­gen muss­te.

walkingdead

Im No­vel-Gen­re fin­det man ge­ne­rell we­ni­ger Wahl­frei­heit. Die sel­te­ne­ren Ent­schei­dun­gen las­sen die Ge­schich­te da­für deut­lich brei­ter ent­fal­ten und meh­re­re Pfa­de kön­nen zu sehr un­ter­schied­li­chen En­de füh­ren. (So war es zu­min­dest in den bei­den die ich ge­spielt ha­be.) Des­halb kann man trotz des Er­rei­chens des Ab­spanns auch gan­ze Area­le ver­pas­sen und ein er­neu­tes Durch­spie­len bie­tet deut­lich mehr Ab­wechs­lung als man es sonst ge­wohnt ist.

Das tol­le an den fünf »Bad En­dings« aus 999 ist nicht ein­fach nur der Zweck ein paar un­ter­halt­sa­me Al­ter­na­ti­ven­den zu ha­ben, viel­mehr er­langt man durch das Er­le­ben eben je­ner neue In­for­ma­tio­nen, wel­che es­sen­zi­ell für das Er­rei­chen des wahr­haf­ti­gen, sechs­ten En­des sind. Um die­se Har­mo­nie zwi­schen den Ent­schei­dun­gen und der er­zäh­le­ri­schen Ebe­ne ge­nau­er zu er­läu­tern, sind Spoi­ler je­doch un­aus­weich­lich. Das Spiel hat na­tür­lich noch ge­nü­gend an­de­re schö­ne Mo­men­te, wen ich aber schon be­geis­tern konn­te, soll­te den­noch zur nächs­ten Über­schrift sprin­gen, zu­mal ich es nicht an­satz­wei­se so span­nend her­über­brin­gen kann, wie es im Spiel ge­schieht.

Letz­te War­nung: Fol­gen­der Ab­schnitt kann Spu­ren von Ver­dor­ben­heit ent­hal­ten.

Bei mei­nem ers­ten Durch­spie­len ha­be ich mich di­rekt gut an­ge­stellt und ging – na­tür­lich oh­ne dies zu wis­sen – durch die rich­ti­gen Tü­ren, um auf dem »gu­ten« Pfad zu blei­ben. Doch plötz­lich steht man vor ei­nem Code-Pad, oh­ne jeg­li­che In­for­ma­ti­on über das ge­for­der­te Pass­wort. Der Bild­schirm wird dun­kel und in wei­ßer Schrift er­strah­len die Wor­te: »To be con­ti­nu­ed…«. Na pri­ma, das Spiel will uns wohl erst die an­de­ren En­den zei­gen. Na­tür­lich hat sich das Be­tre­ten ei­nes fri­schen Pfa­des durch die neu ent­deck­ten Rät­sel­pas­sa­gen ge­lohnt und der Ab­schluss al­lei­ne war so un­be­schreib­lich ner­ven­auf­rei­ben­den, emo­tio­nal und zu­gleich fie­ser als je­der an­de­re Cliff­han­ger. So zwang mich die­ser in­stink­tiv wei­ter zu for­schen, be­son­ders da im­mer noch nicht al­le Räu­me vom Prot­ago­nis­ten er­kun­det wur­den. Im­mer mehr Per­so­nen be­rich­ten uns der­weil, ein­mal et­was über ein ge­wis­ses »Mor­pho­ge­ne­tic Field« ge­hört zu ha­ben. Ein Bei­spiel wa­ren Che­mi­ker die es ge­schafft hat­ten, ei­ne Sub­stanz zum Kris­ta­li­sie­ren zu brin­gen, von der man dach­te dies sei un­mög­lich. Ma­gi­scher Wei­se ge­lang der Über­gang in die­sen Zu­stand nun auch über­all an­ders auf der Welt, trotz der Iso­la­ti­on des La­bors. Durch die Ab­sur­di­tät der Phä­no­me­ne schenk­te ich ih­nen und Din­gen wie ei­nem »Mor­pho­ge­ne­tic Field« aber kei­nen zu gro­ßen Stel­len­wert.

Bei Durch­lauf Num­mer Drei stieß ich end­lich auf den be­nö­tig­ten Code. Als all­mäch­ti­ger Spie­ler kann man sich die­sen ja ein­fach mer­ken, in ei­nem neu­en Ver­such zur ent­spre­chen­den Stel­le vor­sprin­gen und schließ­lich das wah­re En­de er­rei­chen. Nach dem Ab­schlie­ßen der ver­blei­ben­den bei­den (schlech­ten) En­den tat ich auch ge­nau dies. Doch ich hät­te kei­nen so rie­si­gen Hype um die­se Si­tua­ti­on ge­macht, wenn sie wie er­war­tet ab­ge­lau­fen wä­re. Als ich nun er­neut an die Stel­le der Sack­gas­se ge­lang­te, ge­schah et­was un­er­war­te­tes; die Lö­sungs­zahl des Zif­fern­blocks trifft Jun­pei wie ein Blitz oder eher wie ein »Mor­pho­ge­ne­tic Field«. All die Hin­wei­se hier­über er­fül­len nun ih­ren Zweck und das aus­pro­bie­ren ver­schie­de­ner We­ge mei­ner­seits er­ge­ben nun auch ei­nen Vor­teil für die Spiel­fi­gur – fan­tas­tisch! Da­bei stellt man selbst auch ei­ne stär­ke­re Bin­dung zu ihm her, da Jun­pei au­gen­blick­lich Wis­sen sei­ner an­de­ren Ichs ge­winnt, wie es doch sonst nur dem Spie­ler selbst zur Ver­fü­gung ste­hen wür­de.

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97% aller Erwachsenen können nicht erkennen, was auf diesem Bild zu sehen ist. Junpei leider auch nicht. Die Geschichte dahinter ist hingegen unglaublich (na ja, oder zumindest wichtig für die weitere Handlung).

# Also eine klare Kaufempfehlung?

Al­lei­ne für die sen­sa­tio­nel­le Sto­ry, wor­über ich je­doch nichts wei­te­res ver­ra­ten will, lohnt sich der Trip. Jeg­li­che Ver­wir­rung klärt sich, wie in ei­nem gu­ten De­tek­ti­v­aben­teu­er, schlüs­sig auf. Zu­dem be­ein­druckt auf welch per­fek­te Art sich je­de Me­cha­nik in das Ge­samt­werk ein­glie­dert und al­les sehr rund er­schei­nen lässt. Wer al­so De­ad­ly Pre­mo­ni­ti­on für sei­ne Er­zäh­lung ge­fei­ert hat, wird eben­so mit 999 glück­lich und sich da­bei wun­dern, dass es tat­säch­lich mög­lich ist ein un­ver­gess­li­ches Er­leb­nis oh­ne den Bei­geschmack grau­en­haf­ten Game­plays zu er­le­ben.

Da man für das Spiel eben kei­ne schnel­len Re­fle­xe braucht oder ei­ne kom­pli­zier­te Steue­rung er­ler­nen muss, eig­net es sich auch für un­er­fah­re­ne Ga­mer oder zum Her­an­füh­ren von äl­te­ren Men­schen und Nicht­spie­lern an die Fas­zi­na­ti­on der In­ter­ak­ti­vi­tät. Für die nach hin­ten­her­aus schwe­rer wer­den Rät­sel las­sen sich meist un­se­re Ka­me­ra­den hin­zu­zie­hen, um uns Tipps zu ge­ben, falls man denn ein­mal hän­gen soll­te.

Nichts­des­to­trotz wird es man­chen Leu­ten zu viel Dia­log und zu we­nig Ac­tion sein. Au­ßer­dem soll­te man lie­ber ab­war­ten, ob der Port auch wirk­lich sau­ber um­ge­setzt wur­de und man sich klar ma­chen, dass man den Nach­fol­ger – über den ich mo­men­tan noch nichts Hand­fes­tes sa­gen kann – mit­kau­fen muss, was in ei­nem für das (wenn auch zeit­lose) Al­ter sehr hap­pi­gen Preis re­sul­tiert.

Er­gän­zung: Nach­dem ich end­lich die bei­den an­de­ren Tei­le durch­ge­spielt ha­be, kann ich da­zu auch nur ei­ne gro­ße Emp­feh­lung aus­spre­chen. 999 wird ver­mut­lich im­mer mein Fa­vo­rit blei­ben, die Nach­fol­ger kön­nen den ho­hen An­spruch je­doch sou­ve­rän hal­ten! Das hat mich be­son­ders bei Vir­tue’s Last Re­ward über­rascht, wel­ches mit rund 40 Stun­den Spiel­zeit fast die Hälf­te der Se­rie aus­macht.

Letzt­lich möch­te ich ger­ne noch dar­auf hin­wei­sen, dass ich nicht an­satz­wei­se al­le (PC-)Ti­tel ken­ne und nur weil ich – nach mei­ner per­sön­li­chen Mei­nung – kei­ne fes­seln­de­re Ge­schich­te er­lebt ha­be, nicht von euch ver­lan­ge dem zu­zu­stim­men. Ei­ne bes­se­re Über­schrift ist mir eben nicht ein­ge­fal­len^.^ Un­ter den über 2350 auf Met­acri­tic ge­lis­te­ten Nin­ten­do DS-Re­leases gibt es je­doch nur neun Stück mit hö­he­rem Users­core als Ni­ne Hours, Ni­ne Per­sons, Ni­ne Doors.